Sonntag, 21. Dezember 2014

Wohin? ….. Brücke oder Achterbahn?..?? II

(Manuskript von 2004)

Aufbruch oder Beharrung?
Aber es gibt ja leider nicht nur die „Achterbahn“ durch einen fragwürdigen Fortschritt, sondern auch durch ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen.
In der Beharrung verfällt man in das andere Extrem und duckt sich vor einer wirklichen Modernität, vor einem wirklichen Eintritt in ein neues Jahrtausend und einer neuen Zeit der Menschheit, mit einer Rolle rückwärts in die Traditionen.



Rückwärtsschauend wird so hochgehalten und als allgemeiner Lebensinhalt definiert, was schon die Großväter bejubelt haben. Dann wird eifrig postuliert, dass dasjenige was schon früher so gewesen ist und damals gut war, auch heute noch das Beste sein muss.

Es sei damit nichts gesagt gegen ein dankendes Andenken an die Vergangenheit. Auch nichts gegen eine vernünftige Traditionspflege.
Aber es muss doch gefragt werden, ob es noch zeitgemäß ist, wenn viele Menschen so leben wollen, als müsse die Vergangenheit sich durch unser Leben fortleben und durch uns ewig bewahrt bleiben?
Sollte jetzt nicht wirklicher Aufbruch, wahre Modernität und Geistesgegenwart angesagt sein?
Sind darum nicht auch ganz andere Fragen an die Menschheit zu stellen, als die Achterbahnfahrer für wichtig, richtig, pässlich, passabel und diskussionswürdig halten?
Und wird nicht mit einer Zähigkeit, als hätte man den Rückwärtsgang im Gehirn und Klebstoff unter den Füßen, das alte verteidigt? In wie vielen Gestalten und Facetten tritt uns ein Abdriften in überlebte Strukturen und in traditionelle Ordnungen und Handlungsmuster entgegen. Vom „Wächterrat“ auf der einen, bis zum „Kampf der Kulturen“ auf der anderen Seite. Keine Kanne ist zu alt, um nicht noch einmal kalten Welten-Kaffee hinein zu schütten.

Wäre es nicht vielmehr dringend an der Zeit, den drohenden „Kampf der Kulturen“, der ja weltweit das Denken okkupiert hat, durch eine wahrhafte „Kultur der Kulturen“ zu ersetzen?

Doch, wenn eine wirkliche, eine offene Anfrage an die tatsächliche Kultur in der Kultur gestellt werden soll, dann muss die Frage, die wir uns hier schon einmal gestellt haben, die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, noch um die individuelle Komponente der Selbstbestimmung ergänzt werden: Die Frage nach der „Kulturellen Identität“.
Es gilt grundlegend zu fragen, ob die Anschauung, die davon ausgeht, dass alle Menschen irgendwie gleich sind und bei ehrlichem Bemühen schon irgendwie zu umgänglichen Formen des Miteinanders kommen müssten, vor der Wirklichkeit Bestand hat?
Oder ist es eine grobe Täuschung, wenn man die wesenhaften, die tiefen geistig-spirituellen Unterschiede und Verschiedenheiten, die sich durch eine Kultur ausdrücken, nicht zur Kenntnis nimmt.
Reicht es aus, sich mit einem allgemeinen Wohlgefallen am allseitigen guten Willen zu versammeln und unterschiedliche Richtungen der Kulturen auszuklammern?
Oder sind Unterschiede in den grundlegenden, den fundamentalen Verschiedenheiten und elementar verschiedenen Ausrichtungen der gesamten Lebensideen nicht wirklich zur Geltung zu bringen?
Wie kann man dieses zur Geltung bringen, dieses Gelten lassen der fundamentalen Differenz in den Lebensideen realisieren?

Wie kann man fundamentale Unterschiede gelten lassen, ohne fundamentalistisch im negativen Sinn zu werden?
Es geht eigentlich nur unter zwei Voraussetzungen.

Zum ersten muss man akzeptieren, dass Menschen, die miteinander in einer Zeit auf der Erde leben, nicht unbedingt alle ein und der selben Zeit angehören.
Das heißt schlicht und ergreifend, dass es so etwas wie verschiedene kulturelle „Zeitfenster“ gibt.
Diese „Zeitfenster“ sind nur relativ zu einander verschieden.
Damit ist nichts über Vorrang oder Nachrang gesagt.
Denn, so wenig wie der Morgen prinzipiell besser ist als die Mittagsstunde, der Abend oder die Nacht, genau so wenig, ist die eine kulturelle Zeitzone „besser“ als die andere. Sie miteinander machen den Tag aus. Miteinander füllen sie erst die Zeit.
Jeder Mensch der einigermaßen etwas vom Leben versteht, wird nicht behaupten, dass man nur am frühem Morgen richtig leben könne. Der verpasste Mittagstisch kann ihn schon eines besseren belehren. Wie gehaltvoll manche Abendstunden sein können, weiß wohl nicht nur mancher venezianische Gondoliere zu besingen. Von den Freuden der Nacht ganz zu schweigen.
So sollte jeder Angehörige einer Kultur vorrangigst darauf schauen, was der andere zur Fülle seines Tages beiträgt. Und als einfachste Übung könnte, für den manchmal mehr eingebildeten denn gebildeten Zeitgenossen, ein Nachdenken darüber sein, warum er seinen Stantort und sein Ziel immer noch darüber bestimmt, dass er sich orientiert.
Der Orient hat zu unserer Bewusstseinslage viel mehr beigetragen, als die meisten nur ahnen.


Darüber kommen wir zur zweiten Voraussetzung einer Kultur in der Kultur.
Toleranz!
Toleranz, die nicht nur den anderen duldet, sondern dessen anders Sein bejaht.
Die sein anderes „Zeitfenster“, seine andere Lebensidee, bejaht.
Die auch im Idealfall ein lebendiges Interesse an der anderen „Lebensidee“ entwickelt.
Eine solche Bejahung des anders Sein des anderen hat eine Voraussetzung: Die Toleranz ist beidseitig und von gegen-seitiger Freiheit geprägt.

Die gegenseitig akzeptierte und gewährte Freiheit ist der Punkt an dem sich die Geister scheiden.

Die Freiheit ist aber auch der Schnittpunkt, an dem man akzeptieren muss, dass man aus Toleranzgründen keine Umpolung der Kultur in die Intoleranz akzeptieren kann!

An diesem Punkt muss man sich, gegebenenfalls auch nachdrücklich, gegen Tendenzen wehren, die eine persönliche Freiheit als Kulturgut aufzuheben wollen und neue Staats-religionen und/oder Religionsstaaten in Europa gründen wollen.

Stichwort: Kalifatstaat, Gottesstaaten. etc.

Kurzum: Jede Toleranz muss dort ihr Ende finden, wo sie als Vehikel zur Installierung eines intoleranten Regimes missbraucht wird.

Denn dazu ist die Freiheit ein zu hohes Kulturgut.


Denn ist Freiheit nicht wirklich ein Kultur - Gut?
Ist es, trotz aller Mängel die sich immer wieder zeigen, ein Kulturgut, in einer Gesellschaft zu leben, die dem Individuum die Freiheit bietet, weitgehend sein Leben selbst zu bestimmen
(Jedenfalls bis an die Grenze der Freiheit des anderen.)
Die Möglichkeit, sein Leben weitgehend selbständig zu führen und seine eigene Wege zu finden, war auch in diesem Land in der Vergangenheit keineswegs selbstverständlich.
Auch aus dieser Erfahrung heraus, muss man die Möglichkeit zu einer selbstverantworteten Lebensführung schon in seiner ganzen Bedeutung erfassen.
Freiheit und Selbstbestimmung sind eher ein zartes Pflänzchen, denn eine zementierte Selbstverständlichkeit.
Und daher muss man sich auch immer wieder um dieses „Pflänzchen“ bemühen. Damit es nicht verdorrt oder zertreten wird.

Da eben zur Zeit so unendlich viel auf der Welt, sogar im Zeichen von Religionen, „verdorrt“ und „zertreten“ wird, sei noch einmal auf die Bedeutung der Religion, hinsichtlich der Freiheit und Selbstbestimmung hingewiesen.
Es ist schon ein großer Unterschied in der gesamten Lebenserfassung da, wenn man mit einem Glauben lebt, dass eine Gottheit das Leben für einen regelt und daher die persönliche Freiheit unbedeutend ist, gegenüber einem Glauben, dass die Gottheit die Befähigung zur Freiheit und zur freien Tat geschenkt hat.
Wenn die selbstverantwortete Lebensführung, die individuelle Freiheit, einen prägenden Einfluss hat, ist es dann gleichgültig für den Verlauf einer kulturellen Entwicklung, ob ein Mensch z.B. an eine Macht über ihm glaubt, die alle Aspekte seines Lebens für ihn regelt. Einer Macht, der er aus seinem freien Willen nichts hinzufügen kann, weil es für ihn gar keinen freien Willen des Menschen gibt.
Lebt man in einer Vorbestimmten, in einer göttlich determinierten Welt, nicht anders, als in einer Welt in der man aufgerufen ist, mitzuwirken an der Entwicklung der Welt?

Werden da nicht wesentliche Unterschiede sichtbar?
Wenn wir also tatsächlich Kultur, das heißt Freiheit des Menschen, in den Kulturen haben wollen, werden wir nicht umhin kommen, solche Unterschiede in den grundlegenden Lebensbefindlichkeiten zu erkennen, auszuhalten und zu gestalten!
 

Es ist im Umgang miteinander letztendlich nicht hilfreich, wirkliche Unterschiedenheit mit wohlwollender Indifferenz übertünchen zu wollen.
Wird eine Kultur, in der alle Freiheit in bezug auf das eigene Schicksal verneint wird, wo Gottergebenheit nur im Gegenzug einer Selbstabsage möglich ist, wird eine solche Kultur nicht zwangsläufig ganz anders sein als eine, die eine individuelle Selbstverantwortung und Selbstentfaltung zulässt oder sogar fördert?
Man wird sich daher auch damit auseinandersetzen müssen, dass eine ausdrückliche Ablehnung, als auch eine gewisse Lethargie gegenüber den individuellen Möglichkeiten, zu anderen Kulturergebnissen führt, als wenn die Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen forciert werden.
Und gerade unter diesem Aspekt kann man sich des Eindrucks nicht entziehen, dass in manchen Gesellschaften die kulturelle Selbstabsage sich mit einem lebensfüllenden Kleid aus Traditionen bemäntelt.
Wo der Verzicht hinsichtlich einer eigenen Modernität ggf. noch mit einem religiösen Sendungsbewusstsein überhöht wird, in dem dann sogar jede abweichende Sicht der Welt, als „Unglaube“ bekämpft werden kann.

Da dieser Vorwurf der „Ungläubigkeit“ ein immer wiederkehrendes Signum gewisser islamistisch - fundamentalistischer Kreise ist, sei dazu angemerkt, dass es von einer Verelendung des Geistes zeugt, einen anderen Menschen als „Ungläubigen“ zu bezeichnen
Als könne ein Mensch einem anderen Menschen 'Gott' streitig machen.
Als könne es die eigene Bejahung vor Gott durch die Verneinung eines anderen Menschen geben.

Um jedem Missverständnis zu begegnen: Wer es für einen Ausdruck seiner kulturellen Identität ansieht, in seinen Traditionen stehen zu bleiben, soll stehen bleiben dürfen.
Das ist seine Freiheit!
Wer stehen bleiben will, aber aus seiner Haltung anderen das weitergehen verbieten will, weil eigenes Gehen für ihn an Gotteslästerung grenzt, dem muss diese Freiheit versagt werden.
Vor allem muss diese Freiheit versagt werden, in den Fällen, wo Menschen heute noch andere Menschen wegen deren Geschlecht als Wesen ohne eigene Würde behandeln!
Da ist die „kulturelle Identität“ in vielen Fällen nur ein treffliches Mäntelchen unter dem sich eine menschenverachtende Praxis, besonders in bezug auf Frauen, breit gemacht hat.
Auch da wollen vor allem etliche Herren der Schöpfung nicht aus der Achterbahn heraus!



An der Akzeptanz und im Umgang mit der menschlichen Freiheit scheiden sich auch hier wieder die Geister!
Die Freiheit ist auch hier der wesentliche Schnitt- und Brennpunkt. Wohin man sich hinsichtlich der Freiheit orientiert, ist im höchsten Maße kulturprägend.

Heute gilt es daher, die Verantwortung des Menschen, auch jenseits von religiösen Bekenntnissen, für seine Freiheits-Möglichkeiten zu betonen...und überall praktisch zu fördern!
Nur so lässt sich hier der Weg von der Achterbahn zum Brückenbau der „Kultur in den Kulturen“ finden!

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